Ecuador, Illiniza Norte – fuck me

Aug 26, 2023

Einen wunderschönen guten Morgen! Wortwörtlich, das Wetter heute ist überragend. Ich sitze an meinem gewohnten Platz in meinem Hostel und widme mich aufgeregt meinem Blog, nachdem ich mich von gestern erholt habe! Wer meinen Blog aufmerksam liest, weiß dass ich ein wenig Research machen wollte, in wie weit der Illiniza Norte für mich überhaupt in Frage kommt.

Der Illiniza war mal ein ganzer Vulkan mit Krater aber hat sich irgendwann aufgespalten und somit existieren heute der Nord- und der Südgipfel. Der Nordgipfel mit 5126m und der Südgipfel mit 5263m bilden somit den 6. und 8. höchsten Berg in Ecuador. Während meinem Research bin ich auf folgenden Text gestoßen:

„It is said that Illiniza Norte (North) is known for being less difficult to climb than its neighboring peak Illiniza Sur (South). Indeed, Illiniza Sur is advised for experienced climbers with knowledge on technical gear and its use on steep snow/ice ramps, while for the former the deal is good hiking and scrambling skills. 

However, Illiniza Norte can feature snow/ice conditions from time to time too, turning this rocky peak into a technical one and a real challenge even for experienced climbers. In this case climbers may need at least and ice axe and maybe crampons and a rope. Wearing a helmet at all times is a must.

In the last couple years an inordinate number of even the most experienced climbers have come to grief while climbing this mountain. It seems that overestimating their skills and underestimating the difficulty of the climb is one of the main causes of unfortunate mishaps in the mountain, especially under snow/ice conditions. Rescues and body retrievals have become very common lately, especially on those peaks considered not difficult as Illiniza Norte and Rucu Pichincha. Caution is highly advised.“ – Quelle: https://www.summitpost.org/illiniza-norte-iliniza-norte/151055

Vor allem der Teil „Rescues and body retrievals have become very common lately, especially on those peaks considered not difficult as Illiniza Norte….” hat mich eigentlich zu krass abgeschreckt und joa …. Vll doch keine so gute Idee 😀

Aber wer mich kennt, weiß zu welchem Entschluss ich gekommen bin. Fuck it! Der Bock ist einfach zu groß und irgendwann muss man ja mal den ersten Schritt machen! Und no Risk no Fun, richtig? Also bin ich im Hostel rumgesprungen und hab nach Leuten gesucht, die sich auf den Scheiß mit mir einlassen.

Und dann ist mir Damian wieder über den Weg gelaufen, der auch in Cotopaxi dabei war, als wir den Gletscher hoch sind. Ich hab ihn drauf angesprochen, und nachdem er tatsächlich 2 Tage zur Verfügung hatte, an denen er noch nichts vorhat, haben wir uns ein wenig tiefer beratschlagt und haben beschlossen uns einfach drauf einzulassen. Damian hat vorher noch nie einen Klettersteig oder sonst was gemacht, hat aber dafür mehr Erfahrung mit Höhe. Also ab ins Tourist Center und die Aktion gebucht. Für 170 Dollar, eine Tagestour mit erfahrenem Guide inkl. Equipment. Ihr habt keine Vorstellung wie aufgeregt ich da auf meinem Stuhl gesessen bin, als wir die Zahlung durchgeführt haben 😀 Vermutlich die naivste und dümmste Aktion bisher aber theoretisch kann man ja jederzeit umkehren…

Also werden wir am nächsten Tag um 5 Uhr morgens vor dem Hostel abgeholt, als es noch stockdunkel ist. Ich denk mir: Woher zum verf*** Geier krieg ich um die Uhrzeit meinen Kaffee!! Aber die vom Tourist Center meinten auf dem Weg zum Berg gibts Frühstück und Kaffee. Also sitzen wir vollkommen übermüdet, weil mal wieder madig geschlafen, im Taxi und Quito zieht mit seinen farbenfrohen Lichtern und den crazy Bussen, die hier verkehren an uns vorbei, während wir uns nervös fragen, ob das nicht doch vll. eine dumme Idee war. Der Fahrer liefert uns nach einer ca. 45 minütigen Fahrt bei der Firma „Summit irgendwas“ ab und dann macht erstmal keiner auf. Vermutlich schlafen die Dudes da noch, ist ja gerade mal viertel vor 6. Professioneller Eindruck? Am Arsch. Irgendwann macht ein Kerl völlig verballert die Tür auf und lässt uns schließlich ins Büro, das voller Bergsteiger Equipment ist.

Uns wird beinahe wortwörtlich ein Helm und ein Sicherungsgurt entgegen geworfen. Fragen werden überhaupt keine gestellt. Der Typ redet eigentlich so gut wie gar nicht mit uns. Wird abgefragt, ob wir überhaupt Erfahrung mit sowas haben? Ob wir das richtige Schuhwerk am Start haben? Ob wir einen Kaffee wollen? Oder etwas zu essen? Natürlich nicht! What the fuck. Ehe wir uns versehen steht ein 4-Wheel-Drive Truck vor der Tür, Helm und Klettergurte werden einfach reingeschmissen und wir nehmen Platz. Weiter geht die Fahrt durch Machachi und dann raus aufs Land. Langsam geht die Sonne auf und ich sehe einen super krassen Berg, der mich mal wieder total hyped. Bis ich von dem Fahrer erfahre, dass das der Berg ist, den wir heute hochklettern.

Auf dem Weg sammeln wir einen weiteren Ecuadorianer auf. Christian. Klingt irgendwie so gar nicht Ecuadorianisch. Aber während der Fahrt kommen wir wenigstens mal ein bisschen ins Gespräch. Erfahren mehr über die Familien und Berg-Erfahrungen der beiden. Immerhin klingt es so, als wüssten sie was sie tun. Aber Kaffee hab ich immer noch keinen bekommen!!!! Und als ich frage, wo und wann es denn den Kaffee gibt (und ich hab’s ja schon fast befürchtet), wird mir gesagt dass es keinen Kaffee geben wird. Geschweige denn anständiges Frühstück. Aber wir können uns in einem kleinen Laden noch ein paar Snacks kaufen. Ja wow. Wofür zahl ich 200 Dollar? Da könnte man eigentlich schon ein wenig mehr Service erwarten. Aber gut. Ich finde mich mit meinem Schicksal ab und Damian und ich kaufen uns in einem kleinen Laden ein paar Bananen, eine Art Croissant und Kekse.

Die Tour auf den Illiniza Norte, nur kurz zur Erklärung warum uns das so krass gelangweilt hat, ist halt keine 2-3 Stunden Tour. Wir reden von mindestens 7-8 Stunden inklusive Abstieg. Zumindest laut der Aussagen aller. Erstmal beginnt der Aufstieg auf 3950 Metern 3 Stunden lang bis zum Basecamp auf 4750 Metern. Unerfahrenere Leute übernachten dann dort, um AMS – also Höhenkrankheiten – zu vermeiden, und dann gehts weiter auf 5126 Meter. Ein 3 Stunden langer „einfacher“ Scramble *lach* also Gekraxel bis zum Gipfel. Und der Gipfel macht mir schon Sorgen wenn ich ihn nur seh. Ich frag mich, ob wir wirklich diese 90 Grad Wand da hochklettern, die ich aus der Entfernung sehe.

Wieder mal biegen wir auf eine super räudige Straße ab und dann werden uns (wie hätte es auch anders sein sollen) Steine in den Weg gelegt. Wortwörtlich trololol. Denn irgendwer hat beschlossen ausgerechnet an dem Tag Bauarbeiten auf dem Zugang zum Berg zu beginnen. Nach einer kurzen Frageminute, wie zum Geier wir jetzt eigentlich zum Berg kommen, beschließen unsere beiden Ecuadorianer einfach außen rum übers Feld zu fahren xD Christian, unser Guide, ist dabei äußerst motiviert am Werk und zerstört einfach irgendwelche Drahtzäune, die im Weg stehen und so bahnen wir uns langsam den Weg bis wir schließlich am Parkplatz ankommen. Ich will nochmal erwähnen, dass auf dem ganzen Weg, alles äußerst stressig abgelaufen ist und wir zu keinem Moment das Gefühl hatten, dass sie sich eigentlich wirklich um uns kümmern.

Als wir dann am Parkplatz angekommen sind, wird unser Equipment einfach aus dem Auto geworfen, der Fahrer zischt ab bevor ich überhaupt BungaBonga sagen kann und ich hab eigentlich gerade mal genug Zeit mir meine Klamotten überzuwerfen und den Helm etc. in meinem Rucksack zu verstauen. Und dann gehts direkt los. Die Zweifel an der ganzen Aktion sind enorm. Der Guide hat sich BTW ebenso wenig erkundigt, ob wir Fragen haben oder sich nach unserer Erfahrung etc. erkundigt. Das Equipment wurde auch nicht wirklich geprüft. Und mein größtes Thema nach wie vor: ich habe immer noch keinen Kaffee bekommen!! Verdammt nochmal, und richtig gegessen hab ich auch nicht. Ne scheiß Banane und so ein läppisches Croissant hilft mir da wenig.

Aber gut dass kann ich jetzt ohnehin nicht ändern. Also Rucksack auf und guter Dinge stapf ich hinter Damian und dem Guide los. Die Höhe kickt direkt. Innerhalb der ersten Minuten bin ich so krass außer Puste, dass ich gar nicht weiß, wie ich das 6 Stunden durchstehen soll. Aber ich weiß: Ich brauch vermutlich ca. eine Stunde, bis ich meinen Rhythmus gefunden habe. Also beiße ich die Zähne zusammen und versuche Schritt für Schritt, Schritt zu halten. Dabei fällt mir auch innerhalb der erste 20 Minuten auf, dass der Guide sich eigentlich nicht wirklich um uns schert. Der blickt sich nie um und läuft fröhlich mit einem nicht zu geringen Tempo voraus. Ich hab mal gelernt, dass das schwächste Glied in der Regel voraus laufen sollte, sodass sich alle anderen dem Tempo anpassen, aber hier? Pustekuchen.

Glücklicherweise, wie ich vermutet habe, fange ich nach ca. 1 Stunde an meinen Rhythmus zu finden. Es ist nach wie vor geisteskrank anstrengend aber die Aussicht auf dem Weg durch die flache Graslandschaften, die zunehmend steiniger wird, hilft mir mich zu motivieren. Und dann gibts doch mal eine kurze Verschnaufpause. Als unser Guide dann meint, dass wir übertrieben schnell sind (xD achwas, als ob ich das nicht gemerkt hätte) wird aber klar: die 6 Stunden, die uns angedreht wurden, werden vermutlich eher 4 Stunden und sind eher auf Leute ausgelegt, die alle 15 Minuten eine Pause einlegen müssen. Damian ist mächtig fit und auch ich merke nach ca. 2 Stunden, als wir das Basecamp erreichen, dass die letzten 7-8 Wochen laufen, hiken etc. anscheinend Spuren hinterlassen haben. Ich schnaufe zwar ununterbrochen aber meine Ausdauer bleibt ungebrochen.

Eigentlich sollte auf dem Basecamp eine 20 minütige Pause, mit heiße Tee, auf uns warten. Das Wetter hat natürlich mal wieder umgeschlagen und wir sind umgeben von Wolken und eiskalten Wind. Und dann stehen wir vor verschlossener Tür. Also kein heißer Tee. Und das greislige Wasser aus der Regentonne will ich auch nicht in meine Flasche umfüllen. Also meint Christian: Scheiß auf die Pause. Er spricht übrigens nur Spanisch. Wir sind hier innerhalb 2 Stunden hochgeballert. Also werden Pausen eh überbewertet. Und als wir dann unser Kletter-Equipment anlegen wollen, stellt Damian auch noch fest, dass er seinen Klettergurt in der ganzen Hauruck Aktion unten am Parkplatz vergessen hat. Jesus. Der Guide meint dann nur: Das geht auch ohne. Also Helm, Handschuhe etc. drüber gestülpt und los geht der Aufstieg im Fels!

Die Steigung ist erstmal überhaupt nicht wild und der Grip am Boden ist super. Leider bleibt das Wetter madig und mit zunehmender Höhe wird auch der Wind stärker. Und dann dauert es nicht lang bis der erste Schnee kommt. Fuck me. Hier oben sollte doch kein Schnee liegen man. Und matschig ist es auch noch wie sau. Meine Brille beschlägt brutal und gefriert fast schon. Die Höhe macht mir jetzt richtig zu schaffen. Ich muss alle 3 Minuten anhalten und kurz durchatmen. Damian und der Guide sind ein Stück voraus. Und nach wie vor ist unser Guide eigentlich nicht mehr als ein menschlicher Kompass. Der dreht sich höchstens alle 10 Minuten mal um, um zu sehen ob wir noch da sind lol. Warum ich einen Sicherungsgurt trage? Überhaupt kein Plan. Pure Deko. Ich lauf hier alleine mindestens 20 Meter hinter den anderen her.

Und dann gehts richtig los. Die Neigung wird eher 70-80 Grad, es ist eisig, matschig und ich muss jeden Schritt sorgfältig und vorsichtig setzen. Denn links und rechts gehts echt krass runter. Ich lass mich nicht unterkriegen und bleib guter Dinge. Der Guide ist nach wie vor weit vorne und blickt sich selten um. Von Sicherung keine Spur. Angst ist definitiv am Start. Ein falscher Tritt und das wars. Ich übertreib kein Stück. Die Wolken helfen allerdings ein wenig, denn man sieht den Abgrund nicht so krass. Worauf hab ich mich da nur eingelassen…

Aber irgendwann, nach etwa 2 Stunden, nachdem mein Körper mit Adrenalin vollgepumpt und vollkommen erschöpft ist, klettere ich um den letzten Fels herum und sehe das Gipfelkreuz. Und plötzlich ziehen die Wolken auf. Und was dann in meinem Körper und Kopf abgeht ist vollkommen unbeschreiblich. Was ich bei dem Gletscher auf Cotopaxi im Ansatz gespürt habe, kickt hier mindestens ums 20 fache. Glücksgefühle ballern durch meinen Körper, vermutlich so wie wenn sich ein Crack-Junkie in East-Hastings, Vancouver, die Pfeife anzündet oder sich den Schuss setzt. Geht high on your own supply. Die Aussicht ist so dermaßen krass, dass ich gar nicht weiß wo ich zuerst hinschauen soll. Das es links und rechts hunderte Meter bergab geht blende ich vollkommen aus. Und dann schaff ich es aber zum Glück doch noch irgendwie Bilder zu machen.

Wir bleiben ungefähr 10 Minuten am Gipfel, zumindest schätze ich die Zeit ca. so ein, bis wir uns an den Abstieg machen und irgendwann nach 1 – 2 Stunden wieder unten am Auto ankommen. Ich bin komplett erledigt. Kopfweh und Müdigkeit überkommen mich. Die ganze Aktion / Kombination hat mich glaub ich einfach komplett leer gesaugt. Und ich schlafe, sobald wir im Auto sitzen, fast instant ein.

Fuck me. Was für eine gestörte Aktion. Bei weitem mit Abstand das Gefährlichste, was ich glaube ich je in meinem Leben gemacht habe. Aber am Ende ist alles gut gegangen. Und ich glaube ich habe selten 200 Dollar besser investiert. Würde ich sowas wieder machen? Fuck yeah. Nicht weil ich ein Adrenalinjunky bin, sondern weil Bergsteigen auf so einer Höhe halt eine gewisse Risk / Reward Ratio hat und die Belohnung unbeschreiblich ist. Und am Ende, trotz Angst und keiner Sicherung, war ich mir zu jedem Moment sicher dass ich das schaffe. Ich hab eigentlich nicht ein Mal dran gezweifelt. Und meine Trittsicherheit ist doch einer meiner Stärken. Scheiß auf den Guide. Ich hab das alleine hingekriegt. Und erfolgreich meinen ersten 5100 Meter Berg bestiegen. Die Höhe, das Wetter und die Höhenangst besiegt. Raphi 1 : Mountain 0.

Und mein nächstes Ziel, den Cayambe mit 5790 Metern, habe ich schon ins Auge gefasst. Allerdings dauert das noch ein wenig. Bis dahin habe ich noch ein paar andere Ziele vor mir wie den Amazonas, oder den Quilatoa Hike um einen Vulkansee.

Ich werd jetzt mein Zeug packen und erstmal aus Quito verschwinden. Wir hören und schreiben uns also bald! Fürs erste: Over and out.